Wolfgang Saus

Obertonsänger, klassischer Bariton, Gesangslehrer, Stimmcoach, Stimmforscher, Autor. Verbringt seine Freizeit am liebsten mit Arbeiten. Ist selten zu Hause anzutreffen, immer in der Welt unterwegs. Findet oft Neues über den Stimmklang und seine Wirkung heraus. Liebt komponierte Obertonmusik. Tönt gelegentlich unaufgefordert. Singt mit Mücken und Delphinen. Erinnert sich noch gut an die erste Mondlandung. Nutzt seine Wohnung in Aachen hauptsächlich zum Umpacken der Koffer. Hält aber ein Gästezimmer für spontanen Besuch bereit. Blickt aus seinem Küchenfenster in den Himmel über Holland.

Meine Begeisterung und Faszination für den Obertongesang begann 1983, als ich bei der Promotion-Tour von Joachim-Ernst Berendts Buch Nada Brahma mitwirken und Roberto Laneri kennen lernen durfte. Meine Forschungsleitertätigkeit als Diplomchemiker gab ich 1994 auf, um meine Lebenszeit künftig vollständig dem Klang und der Stimme zu widmen. Meine Musikwelt waren Anfang 1980 Avantgarde und Experiment. Bereits während meiner Chemikerzeit arbeitete ich mit u. a. mit Musikern wie Gidon Kremer, Georges Prêtre und Helmut Rilling und sang zeitgenössische Oper im Theater. Von Beginn an faszinierte mich diese wundersame Klangwelt der Obertöne auf eine eigentümlich andere Weise, als die klassische Musik, ich machte sie mir vertraut, erforschte sie und entwickelte sie weiter.

Wolfgang Saus

Wie konnte es soweit kommen?

Im Alter von 7 wurde mir in der Schule mitgeteilt, ich singe wie Mickey Maus und ich solle mit den Geräuschen aufhören (ich machte gerne Tiere und Umweltgeräusche nach). So verlor ich die Lust am Singen, wie viele andere auch. Aber meine Geräusche habe ich weiter erzeugt, mehr oder weniger heimlich. Meine erste Begegnung mit den Grundlagen des Obertongesangs hatte ich mit 8 Jahren: Die Mondlandung war das aktuelle weltbewegende Ereignis. Die Landenacht durfte ich vor unserem ersten sw-Fernseher verbringen und lauschte voller Begeisterung den NASA-Dialogen von Huston mit den Astronauten. Ich verstand kein Wort, aber die texanischen R’s haben mich geprägt.

Ich begann im Alter von 17 wieder mit Singen, als ich mich verliebte und deshalb einem Chor beitrat. Aus dieser Liebe ist nichts geworden, dafür aber fand ich meine neue große Liebe – den Chorgesang. Der Sound vieler Stimmen (es was die Krönungsmesse von Mozart) hat mich völlig in den Bann gezogen.

Ich machte eine erstaunlich steile Chorkarriere, nahm Gesangsstunden und begann, einen speziellen Klang zu suchen. Nach zwei Jahren sang ich bereits mit dem Tschechischen Philharmonie Chor und dem Römischen Symphonie Orchester unter Leitung von Georges Prêtre. Meine Vorliebe für zeitgenössische Musik brachte mir ein Jahr später, 1983, meinen ersten Gastspielvertrag am Stadttheater Aachen als Opernsolist ein, für die Uraufführung der Oper “Chimäre” von Hans Jürgen von Bose, ein Auftragswerk des NDR, das mehrfach im Fernsehen ausgestrahlt wurde. 1980 lernte ich den herausragenden Chordirigenten Anders Eby aus Stockholm und die einzigartige Klangqualität Schwedischer Chormusik kennen. Ich wusste sofort, diese Klangwelt ist meine. Seit dem habe ich in über 70 Ensembles in ganz Europa gesungen – immer auf der Suche nach der Verschmelzung im Klang.

Ich hatte wundervolle, tief beeindruckende musikalische Begegnungen mit großartigen Musikern wie Gidon Kremer, Georges Prêtre, King’s Singers, Helmut Rilling, Anders Eby, Fritz ter Wey, Wolfgang Seeliger, und vielen anderen. Mir war nicht wirklich bewußt, dass ich bereits dort war, wo viele Musiker hinstreben, da ich ja nur Privatunterricht nahm und nicht Musik studiert hatte. Für das Privileg, mit solchen Musikern von Weltrang musizieren zu dürfen, bin ich sehr dankbar.

Trotz der musikalischen Erfolge entschied ich mich für ein Studium der Naturwissenschaften, das ich mit einem Diplom in Chemie abschloss, woraufhin ich als Physikochemiker zunächst einige Jahre in der Forschung und dann als Forschungsleiter in der Industrie arbeitete (für meine Entwicklung einer wasserfreien Textilfärbeanlage wurde mir der Innovationspreis der Klüh-Stiftung verliehen). Das Studium finanzierte ich durch klassischen Gesang, wobei man damals als schneller Blattleser mit zeitgenössischer Musik gutes Geld verdienen konnte.

Meine Begegnung mit Joachim Ernst Berendt 1983 brachte mich erstmals mit dem Wunder des Obertongesangs in Kontakt. Bei der Promotions-Tour zu seinem Buch “Nada Brahma – die Welt ist Klang” stand ich mit Roberto Laneri auf der Bühne, der diesen mir völlig fremden, faszinierenden Stimmklang produzierte – Obertongesang – …ich vernahm Engelschöre. Berendt verglich die klassischen europäischen Kompositionen zum Wort “Amen” mit asiatischen “OM”-Mantren. Die Wirkung der Obertöne des OM hat mich nie mehr losgelassen…

Nach einem Jahr des Experimentierens (es gab damals keine Lehrer) konnte ich ganz passable Obertöne erzeugen und setzte sie in Chören ein, vor allem in byzantinischen Gesängen, als ich merkte, dass ich damit wunderbar unauffällig den gesamten Chorklang beeinflussen und ”reinigen” konnte. Natürlich führten sie auch in experimenteller Musik zu netten Effekten. Dann bekam ich 1986 die Platte “Harmonic Meetings” von David Hykes geschenkt, die mich völlig überzeugte, dass Obertonmusik eine neue Richtung der zeitgenössischen Musik ist. Kurz danach hörte ich Michael Vetter und tuvinische Kehlsänger.

Als Forschungsleiter in der Chemie fand ich zuletzt kaum noch Zeit zu singen. Mein Körper gab mir deutliche Signale, dass ich mich nicht auf meinem wahren Weg befand (u. a. musste ich bei der Arbeit Gehörschutz tragen), und ich beschloss, mein Leben völlig zu verändern.

So wagte ich 1994 die Rückkehr in die hauptberufliche Musik. Heute möchte ich mit meiner Musik meinen Beitrag leisten zu einer neuen friedvollen Welt und zu meinem eigenen inneren Glücksgefühl. Die Obertöne sind für mich weit mehr als nur Musik. Die Klänge erfüllen mich mit einem tiefen Gefühl der Verbundenheit mit dem Leben. Manchmal scheinen die Klänge nicht von mir allein zu kommen. Ich bin sehr glücklich mit meiner Entscheidung, dieser Musik einem Stellenwert in der Musik zu verschaffen, wobei mir meine Forschernatur und -ausbildung sehr hilfreich ist.

Mich interessiert die wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens und ich lasse mir schonmal die eine oder andere Kamera in den Hals schieben. Seit 1994 habe ich mit Hilfe meiner Studien des Stimmapparates und der Akustik des Obertongesangs eine sehr effiziente Unterrichtsmethodik entwickelt. Meine Workshops führen schon in wenigen Minuten zu deutlichen Erfolgen. Dazu ist keine “gute Stimme” erforderlich, Obertöne bringt jeder hervor, der sprechen kann. Doch auch Profisänger sind immer wieder von ihrer eigenen Stimme beeindruckt, wenn sie etwas vorfinden und nutzen können, wovon sie bisher garnicht wußten.

Momentan begeistern mich vor allem Anwendungen der Obertöne im klassischen Chor. Die Chorphonetik ist daraus entstanden, die derzeit meine gesamte Aufmerksamkeit erhält. Die überwältigend neuen Klangmöglichkeiten, die Obertöne vor allem dem Ensemblegesang erschließen, sind in Klassikkreisen noch kaum bekannt. Ich arbeite daran, das zu ändern, indem ich mit Vorträgen und einem Fundus an Material aus langer Erfahrung zu Komponisten und an Musikhochschulen ziehe und Aufklärung betreibe. 2004 schrieb ich ein Buch, in dem ich mein Wissen zusammentrug. Seit 2011 gibt es den von Bodo Maass und mir entwickelten Overtone Analyzer, eine Klang-Visualisierungs-Software für Musiker. Der Wunsch nach Verbreitung des Wissens um Obertöne ist der Existenzgrund für diese Website.